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23. Juni 2022

Libellen – fliegende Edelsteine

Aufmerksamen Besucher*innen der Potsdamer Waldstadt sind vielleicht im Sommer die dort am Himmel fliegenden Mauersegler und Schwalben und die herumschwirrenden Libellen aufgefallen. Das Rätsel um die beiden Vogelarten als Bewohner der Waldstadt lässt sich einfach lösen, hat doch eine der dortigen Wohnungsbaugenossenschaften bei der Fassadensanierung Nisthöhlen anbringen lassen. Die gut versteckten, vorgefertigten Nester für die Schwalben lassen sich nach einiger Suche an den Hausfassaden auch finden. Wo aber sind die Brutmöglichkeiten für die Libellen?

Die Vorfahren der heutigen Libellen sind seit circa 300 Millionen Jahren bekannt. Wir können zufrieden sein, einigen dieser Tiere heute nicht begegnen zu müssen. Die Vorstellung, von fliegenden Libellen mit Flügelspannweiten um 70 Zentimeter umschwirrt zu werden, weckt nicht unbedingt schöne Gefühle. Im gleichen Maßstab vergrößerte Köpfe und Mundwerkzeuge sind für uns heute unvorstellbar.

Die heutigen Vertreter der Libellen stellen mit ihren 20 bis 100 Millimeter langen, schlanken Körpern, die meist sehr farbenprächtig sind, einen wundervollen Schmuck der Lüfte dar. Mit ihren Flugfähigkeiten, die in der Insektenwelt einzigartig sind, streichen sie an uns vorbei – durchaus auch seitlich fliegend und die Höhenlage blitzschnell ändernd. Sie bleiben plötzlich in der Luft stehen, um dann, wie von der Sehne geschnellt, mit bis zu 50 Kilometern pro Stunde einem neuen Ziel zuzustreben. Die Nahrungssuche und -aufnahme, die Partnersuche, Begattung und selbst die Eiablage findet in der Regel im Fluge statt. Trotzdem hat wohl jeder das Bild einer an einem sonnenexponierten Punkt sitzenden Libelle vor Augen. Diese Ruhephasen dienen dem Aufheizen der Muskulatur und ermöglichen es uns, die Schönheit der Libellen zu betrachten.

Libellen bilden, ebenso wie Käfer und Schmetterlinge, eine Ordnung innerhalb der Insekten. 350.000 Käferarten stehen etwa 6.000 vorhandenen Libellenarten gegenüber. Etwas mehr als 75 kommen in Mitteleuropa vor.

Eine exakte Artunterscheidung ist für den Laien oftmals schwierig. Erwähnt sei hier nur die häufig an langsam fließenden Gewässern vorkommende, auffällige Blauflügel-Prachtlibelle mit 6 bis 7 Zentimetern Flügelspannweite oder die auch in der Nähe von Gartenteichen lebende Blaugrüne Mosaikjungfer mit einer Flügelspannweite von 10 bis 11 Zentimetern.

Libellen sind ihr ganzes Leben lang Jäger. Kaum ein Laie weiß jedoch, dass ein Großteil der Entwicklung im Wasser stattfindet. Libellenlarven leben, je nach Art, bis zu 5 Jahre im Wasser. Sie sind extrem gefräßig, stellen Mückenlarven ebenso nach wie Kaulquappen und kleinen Jungfischen. Dazu besitzen sie eine Fangmaske – dies ist eine besondere, in der Tierwelt einmalige Ausprägung der Unterlippe, die innerhalb weniger Sekundenbruchteile vorschnellen und das Beutetier ergreifen kann. Damit schützen sie uns vor so mancher Mückenplage. Teiche und Tümpel ohne Libellenlarven werden schnell zu Mückenbrutstellen. Allerdings benötigen die Larven der Libellen, anders als die der Mücken, wegen ihrer langsamen Entwicklung mehrere Jahre lang durchgehend einen Teich oder fließendes Wasser.

So klärt sich auch die eingangs aufgeworfene Frage nach den Brutmöglichkeiten für Libellen in der Waldstadt: Ein dort befindliches Kreditinstitut hat in seinem Eingangsbereich einen Teich angelegt, der seit vielen Jahren stabile biologische Verhältnisse bietet. Hier haben sich verschiedene Libellenarten angesiedelt, und von dort schwärmen die erwachsenen Tiere zur Nahrungssuche aus.

Zum Ende des letzten Larvenstadiums verlassen die Tiere das Wasser, um an meist senkrechten Strukturen zu schlüpfen. Es bieten sich Stängel von Wasserpflanzen wie zum Beispiel Schilf dafür an. Das erwachsene Tier verlässt den Schlupf­ort und streift auf der Suche nach Nahrung umher. Dabei werden zum Teil größere Entfernungen zurückgelegt. Die Lebensdauer beträgt oftmals nur wenige Wochen. In dieser Zeit frisst die Libelle andere Insekten, sie ist nicht wählerisch und vertilgt Fliegen, Mücken, Schmetterlinge oder auch Bienen und Wespen.

Die Paarung zum Ende der Lebenszeit der Libelle ist spektakulär. Das Männchen ergreift das Weibchen mit seinen Hinterleibsanhängen und bildet mit diesem eine fliegende Paarungskette. Das Weibchen reagiert daraufhin, wölbt seinen Hinterleib nach vorne. Es entsteht das in der französischen Sprache als „Coeur d’Amour“ bezeichnete Paarungsrad. Die nachfolgende Eiablage – an zur Entwicklung der Larven geeigneten Orten – schließt den Lebenszyklus der Libellen.

Durch die zunehmende Zerstörung ihrer notwendigen Lebensräume sind fast alle Arten gefährdet. Globale Erwärmung und zunehmende Trockenheit in Brandenburg führen zum Schrumpfen der für ihre Entwicklung notwendigen Feuchtgebiete. Ob naturnah angelegte Gartenteiche ein Alternativbiotop darstellen können, hängt von deren Beständigkeit ab.

Alle Libellen in allen ihren Entwicklungsstadien stehen unter Artenschutz. Libellenlarven aus der Natur zu entnehmen, um ihre Entwicklung und ihr Fressverhalten im Aquarium zu beobachten, ist nicht gestattet.

Libellen sind für Menschen völlig ungefährlich, meist sind sie scheu und flüchten. Einige große Arten nähern sich manchmal neugierig, um den „Revier-Eindringling“ zu beobachten. Neben der Waldstadt können die fliegenden Edelsteine unter anderem auch auf der Freundschaftsinsel und auf Hermannswerder beobachtet werden. | Carsten Hahn

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