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Foto: Carsten Hahn
11. Juli 2023

Willkommen in Hanffabrik!

Text: Carsten Hahn

NEIN – da ist kein Schreibfehler in der Überschrift, es muss nicht „in der Hanffabrik“ heißen. Es gibt in Brandenburg tatsächlich einen Ort, der „Hanffabrik“ heißt. Dieser ist ein Siedlungsteil von Bergerdamm, einem 2003 nach Nauen eingemeindeten Dorf.

Leider fährt man an diesem Ort oftmals unbemerkt vorbei, weil das Ortsschild gerade mal wieder über Nacht abhanden gekommen ist. Zudem ist die Straße dorthin auch alles andere als ein Genuss. Trotzdem hat dieser Ort etwas mit seinen knapp 100 Jahre alten Siedlerhäusern, Arbeiterhäusern der ehemaligen Fabrik und einem schönen, freistehenden Gebäude in der Fabrikstraße. Allerdings ist der ein Zeichen in der sehr flachen Landschaft des Havelländischen Luchs setzende Fabrikschornstein 2005 verschwunden.

Entstanden ist Hanffabrik im ersten Weltkrieg, als Deutschland, von Importen von Naturfasern aus seinen Kolonien abgeschnitten, den traditionell bereits in dieser Gegend als Faserpflanze angebauten Hanf entdeckte. Der Nachbarort Bergerdamm Lager war für eingesetzte Kriegsgefangene Unterkunft, Hanffabrik Fabrikstandort. Für den Anbau und die Verarbeitung entstand sogar ein eigenes Feldbahnnetz. Zeitweise war das Werk in Hanffabrik der größte deutsche Standort für die Aufbereitung von Hanf zu Fasern.

Wenn man zur Geschichte und der geplanten weiteren Legalisierung des Hanfanbaus recherchiert, stellt man fest, dass große Teile des nördlichen Brandenburgs traditionell Anbau- und Verarbeitungsgebiet von Faserhanf waren. 1878 lag die Anbaufläche für Hanf in ganz Deutschland bei 21.238 Hektar. Da die Verarbeitung des Hanfes in mehreren Stufen relativ aufwendig ist, wurde dieser später durch importierte Baumwolle ersetzt. Und Landwirte suchten sich andere Anbaumöglichkeiten. 1913 hatte sich diese Fläche auf ein Fünfundzwanzigstel reduziert. Die erneuten Autarkiebestrebungen des Dritten Reiches führten zu einem Aufleben des Anbaus von Faserhanf. Das Havelländische Luch rund um Fehrbellin wurde zum größten Hanfanbaugebiet Deutschlands.

Die rohstoffarme DDR setzte diese Tradition fort und verarbeitete in den 1950er Jahren in Fehrbellin Flachs und Hanf. Dieser wurde rund um diesen Ort auf circa 7.100 Hektar Ackerfläche ausgesät. 1973 endete die umfangreiche Verwendung von Hanf, es wurde auf Produkte aus billigem sowjetischen Rohöl gesetzt. Verstaatlicht und in einen volkseigenen Betrieb der DDR eingegliedert, erfolgte dort dann bis 1992 die Verarbeitung von Kunststoffen zu Planen, vor allem für die militärische Ausrüstung.

Aktuell wird dem Hanf als einheimischem, ökologisch unkompliziertem Rohstoff eine große Perspektive vorausgesagt, nicht nur als Arzneimittelgrundstoff. Hanföl als Speiseöl, Hanfsamen als eiweißhaltiges Tierfutter, Hanffasern als ökologischer Dämmstoff, Hanfpellets als Einstreu für Nutztiere, Hanfpapier, Hanfbier oder Hanfblätter als Tee sind heute schon angebotene Produkte aus Hanf. Landwirte in Brandenburg und Mecklenburg rechnen mit einer weiteren Ausweitung der derzeitigen Anbaufläche von 800 bis 1.000 Hektar auf den leichten, trockenen Böden, mit denen unser Land gesegnet ist. Dabei ist der Anbau derzeit an enge gesetzliche Kriterien gebunden, nur Landwirte dürfen diesen anbauen, Gartenbaubetrieben und Privatpersonen ist der Anbau verboten. Diese müssen den geplanten Anbau frühzeitig der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung mitteilen. Nur bestimmte Sorten sind erlaubt.

Der Ort Hanffabrik mit seinen aktuell circa 80 Ein­wohner*innen ist vermutlich zu klein, um ein neues Zentrum der brandenburgischen Hanfverarbeitung zu werden. „Hanf aus Hanffabrik“ wird es wahrscheinlich nie mehr im großen Stil geben. Schade eigentlich!

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