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20. September 2023

Marroni, Marroni …

Text: Carsten Hahn

… so schallt es im Spätherbst und Winter über die Märkte in Österreich, der Schweiz und Norditalien.

Meinen ersten persönlichen Kontakt mit Esskastanien als Nahrungsmittel hatte ich Mitte der 90er Jahre in Ungarn. Ein Freund, wohnhaft in Westungarn, direkt an der Grenze zu Österreich, Vegetarier, hielt bei einer Tour plötzlich in einem Wald an einem Stapel mit Säcken an, verhandelte kurz mit dem aus dem Wald auftauchenden Verkäufer, bezahlte und lud einen etwa 10 Kilogramm schweren Sack in das Auto. Mit seiner Bemerkung „Heute Abend wird es gemütlich“ war erst mal nichts anzufangen. Am Abend wurden dann etwa 2 Kilo der mir bis dahin nicht bekannten Früchte, ungefähr 150 Stück, auf den Küchentisch geschüttet und durchsortiert. Die Erwachsenen bekamen Messer mit kurzen Klingen in die Hand gedrückt und es wurde gezeigt, wie die Kastanien kreuzweise bis zur Mitte des Fruchtkörpers aufzuschneiden sind. Die Backröhre wurde auf 200 Grad vorgeheizt und die erste Portion 15 bis 18 Minuten lang gebacken.

Gemütlich war es dann auf jeden Fall, am Küchentisch zu sitzen, zu reden, die noch warmen Esskastanien komplett zu schälen und sofort zu verspeisen. Und sehr sättigend.

Was sind Marroni?

Was verbindet sie mit Maronen und was haben Esskastanien mit unseren Rosskastanien zu tun? Wenig und sehr viel. Marroni sind Früchte, Maronen Pilze in Brandenburgs Wäldern, Ess-(Edel-)kastanien wachsen in Südeuropa, Rosskastanien bei uns und sie stammen aus völlig unterschiedlichen Pflanzenfamilien. Ähnlich sind nur die Früchte. Die der Edelkastanie sind unter Umständen lecker, die der Rosskastanie für die menschliche Ernährung nicht geeignet.

ABER: Marroni heißen in Italien die besonders gro­ßen Sorten der Edelkastanie (ja, es werden mehrere hundert Sorten unterschieden!). Ihre Früchte sind besonders süß, bei den Sorten mit den größten gehen 60 bis 65 Stück auf ein Kilogramm. Man kauft im Herbst in den Läden in Deutschland also überwiegend Marroni, die meist unter dem Namen „Maronen“ angeboten werden.

Botanisch zählen die Esskastanien zu den Nüssen. Anders als die sonst bekannten Nüsse, die viel Fett enthalten, sind die Maronen sehr kohlenhydrathaltig. Sie enthalten mehr verwertbares Eiweiß als Kartoffeln.

In der heimischen Küche

Esskastanien werden in Deutschland sowohl frisch angeboten als auch vorgekocht, geschält und in Abpackungen zu 100 oder 150 Gramm eingeschweißt. Diese sind etwa ein Jahr haltbar. Wer Esskastanien das Jahr über regelmäßig in der Küche verwenden möchte, sollte sich immer rechtzeitig eindecken, oftmals ist das Angebot schon im Januar ausverkauft.

Das größte Problem bei der Verwendung der Früchte ist das Haltbarmachen. Frisch gekaufte Früchte schimmeln sehr schnell, oftmals bemerkt man zu Ende November bei den Angeboten einheimischer Händler innerlich verschimmelte Früchte. Auch der Kauf und die eigene Lagerung im Keller oder Kühlschrank ist nicht sinnvoll.

Es gibt auch Esskastanienmehl. Dieses ist in Verbindung mit anderen Mehlen backfähig. Kastanien sind glutenfrei, sie werden deshalb von an Zöliakie erkrankten Personen als Ersatz für Getreide genutzt.

In den traditionellen Anbauländern wie Italien und Frankreich existiert eine Vielzahl von Rezepten für die Nutzung und Haltbarmachung der Früchte: Likör, Bier – nicht nach deutschem Reinheitsgebot, Einkochen in Zuckersirup, langsames Kochen in Zuckersirup, Räuchern.

Geschichtliches

Edelkastanien waren über Jahrhunderte im Süden Deutschlands heimisch, wahrscheinlich mitgebracht von den Römern vor über 2.000 Jahren. Bis in das 19. Jahrhundert waren sie in Südeuropa ein wichtiger Holzlieferant. Die Früchte bildeten im Herbst und Winter einen der wichtigsten Kohlenhydratlieferanten in der menschlichen Ernährung. Später wurde die Frucht in manchen Gegenden durch die aus Amerika stammende Kartoffel verdrängt.

Im 20. Jahrhundert brachen die Bestände in fast ganz Europa zusammen, 1938 wurde erstmals in Nord­italien ein wahrscheinlich über die USA aus Ostasien eingeschleppter Pilz entdeckt, der die Rinde der Bäume angreift. Bezeichnet wird er als Kastanienrindenkrebs. 1992 wurde dieser Pilz in Deutschland festgestellt. In den USA führte der Pilzbefall ab 1904 zu einem völligen Zusammenbruch der Population der Amerikanischen Kastanie, einer nahen Verwandten unserer Edelkastanie. Für Europa sieht die Situation etwas günstiger aus, auch wenn die Bestände massiv gelitten haben. Der europäische Vertreter scheint widerstandsfähiger zu sein und bekommt Hilfe von Viren, die den verursachenden Pilz angreifen.

In brandenburgischen Gefilden

Ob die Edelkastanie ein hervorragender Baum für den sich anbahnenden Klimawandel ist, bleibt abzuwarten. Mit den kommenden Temperaturen kann dieser Baum wohl umgehen, möchte aber Jahresniederschläge ab 600 Millimetern, mindestens 6 Monate über 10 Grad und verträgt wegen der späten Blüte keine Spätfröste. Trockene, unter Umständen dürregefährdete Standorte und Gebiete mit ausgeprägter Sommertrockenheit vertragen die Bäume nicht. Da sieht es in Brandenburg derzeit nicht unbedingt gut aus für die Edelkastanie. Kaum ein Landesteil erreicht im Jahresdurchschnitt 600 Millimeter Niederschlag. Dennoch, einen Versuch, sie in die heimischen Wälder einzubauen, ohne auf die Fruchtbildung und Verwertung angewiesen zu sein, ist dieser interessante Baum wert.

In Brandenburg an der Havel, rund um das Archäologische Landesmuseum im Paulikloster (welches sowieso einen Besuch im Herbst wert ist) existiert bereits eine interessante innerstädtische Anpflanzung von etwa zwanzigjährigen Esskastanien. So wie es derzeit aussieht, könnten die Früchte in diesem Jahr sogar ein Genuss werden.

In Brück in Potsdam-Mittelmark betreiben einige Ent­hu­sias­t*innen ein interessantes Projekt zum Thema „Klimawandeltaugliche Gehölze“. Eine der Schwerpunktbaumarten der Baumschule ist die Esskastanie. Im Katalog ihrer Baumschule wird eine der in Brandenburg erprobten Sorten der Esskastanie angeboten. Näheres ist online zu finden unter klimabaeume.org. Vielleicht hat die Esskastanie ja doch eine Zukunft in unseren Gefilden.

Einfache und leckere Maronen-Rezepte finden Sie hier.

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